Kunst getanzt
Anja Hoffmann im Gespräch mit Ruth Trautmann
Vor zehn Jahren kontaktierte das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster
den TanzRaum von Ruth und Uli Trautmann. Seitdem machen sie die
Sonderausstellungen im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kultur zum
Erfahrungsraum mit Musik und Tanz. Auch ältere Erwachsene gehören zu den
Teilnehmenden.
Was reizt ältere Menschen, an den Tanz-Angeboten im Museum teilzunehmen?
Alle verbindet die Lust am Tanz, an der organischen Bewegung. Das ist
Körperarbeit, die die Menschen in ihrem Alltag abholt. Im Alter zwischen 70 und
80 Jahren sind vor allem Frauen vertreten. Diese Frauen bringen viel Erfahrung
aus ihrem Leben mit. Eine Frau erzählte mir von ihrer Kindheit. Sie musste immer
gerade sitzen, die Hände auf dem Tisch. Jetzt im Alter nutzt sie die Möglichkeit,
sich körperlich ausdrücken zu können. Musik und Kunst inspirieren sie, ihre
Hände dürfen tanzen, ihre Gefühle ausdrücken. Diese ältere Generation hat Zeit,
Muße und Energie für Neues und eine gewisse Gelassenheit und
Lebenserfahrung, etwas auszuprobieren, sich etwas mehr zuzutrauen.
Welche Methoden nutzen Sie?
Unsere Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk findet nicht über die rein
kognitive Wissensvermittlung statt, sondern durch den künstlerischen Tanz. Die
Interpretation des Kunstwerks bekommt etwas sehr Persönliches. Es geht nicht
um die Imitation des Kunstwerks. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern
darum, den
eigenen Ausdruck zu finden. Dabei können wir uns auf verschiedenen Wegen
dem Objekt nähern. Wir können fragen: Was macht das Kunstwerk mit deinem
Gefühl? Welche Atmosphäre vermittelt es dir? Oder wir nähern uns über das
Konkrete: Welche Formen und Farben sind erkennbar? Skulpturen können
besonders inspirieren, sich mit Form und Bewegung auseinanderzusetzen. Dabei
spielt die Intuition, die über das Betrachten des Kunstwerks angestoßen wird, ein
wichtige Rolle.
Es muss nicht immer gleich der ganze Körper aktiv werden. Es geht darum,
die Sinne mit einzubeziehen. Gerade in unserem Kulturkreis kommt die
Körperlichkeit manchmal etwas zu kurz. Wer bislang keine oder länger keine
Erfahrung mit Bewegung gemacht hat, kann auch reduziert z.B. mit den Händen
beginnen: Mach die Hände klein – mach sie groß. Wie können die Finger sich
bewegen? So können die Teilnehmenden eine erste Idee davon entwickeln, über
bestimmte Fragestellungen ein eigenes Stück Tanzkunst zu entwickeln. Auch
Menschen, die nicht so viel Erfahrung mit Museum und Kunst haben, können über
einen körperlichen Zugang wie Tanz einen eigenen Ausdruck finden. Es ist immer
wieder erstaunlich, dass Menschen sich darauf einlassen und einen sehr
persönlichen Zugang entwickeln. Im Rahmen unserer Wahrnehmung sind der
Tanz, die Bewegung, der Körper, das Fühlen wichtige Bausteine.
Thema Standbein Spielbein 110 / 2 2018 53
Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie speziell für Tanz im Museum?
Von unserem performativen Ansatz ausgehend, können wir überall tanzen. Das
Performative bietet die Chance, mit dem, was vorhanden ist, zu arbeiten, egal ob
es 5 oder 100 Quadratmeter sind. Die Kunst besteht darin, aus dem, was
vorhanden ist, etwas Künstlerisches zu schaffen. Gerade für unsere
eilnehmenden, die ja Laien sind, ist das Museum auch ein künstlerischer
Schutzraum, denn ihre Performances sind natürlich nicht professionell. Die
Tänzer präsentieren ihren persönlichen Ausdruck. In der Regel sind die
Zuschauer*innen überrascht, was die Laien damit transportieren.
Wenn Menschen Raum haben, ihre Sichtweise zu äußern, ihre Ästhetik zu
finden, schafft das ein frisches, ein neues Miteinander. Ich denke, gerade
Kunstmuseen sind die zukünftigen oder auch die aktuellen Orte, wo Begegnung
und Miteinander stattfinden können.
Ruth Trautmann
info@tanzraum-muenster.de
Ruth Trautmann ist ausgebildete Tanz- und Diplom-Sozialpädagogin mit langjähriger
Erfahrung in Performance, Choreografie und Unterrichtstätigkeiten. Sie leitet seit zehn Jahren
den von ihr konzipierten TanzRaum in Münster und hat an der dortigen KATHO Fachhoch-
schule einen Lehrauftrag für Tanz und Musik.
Performance zur Ausstel-
lung Frieden. Von der
Antike bis heute, LWL-
Museum für Kunst und
Kultur in Münster 2018
Foto: Kirsten Gismann
53 Standbein Spielbein 110 / 2 2018 Thema